Di 1.12.2009, Di 16.2.2010 und Mi 7.4.2010 | 20 Uhr | Scheune | Alaunstraße 36 | Filmabend
Filmen verboten! – Wie bitte? Tja, vor zwanzig Jahren waren nicht nur mehr Birken auf den Dächern der Neustadt, das Spirituosenangebot im Kiez übersichtlicher und die Kohlen im Keller, sondern es gab dort auch ein paar längst in Vergessenheit geratene Gesetze. Wie dieses: Halt die Linse rein und möglichst versteckt in Nähe sowjetischer Kasernen. Hielt sich zum Glück im Zonenrandgebiet Neustadt kaum einer dran. Und so lassen sich heute noch die Dokumente der ersten Szene-Siedler bestaunen, die in den Achtzigern inmitten eines ruinösen Soziobiotops ihre ersten Regieversuche wagten. Mit Super8 und 16mm-Kamera. Zappa-Soundsystem und Underground-Bettlaken-Projektionsshow. UND jeder Menge Neustadt-Originale vorm Objektiv.
Die schönsten Relikte der alten neuen Tage der Neustadt haben wir für diesen Abend zusammen mit den Filmemachern neu kompiliert.
Zu sehen sind Werke von Tilo Schiemenz, Wolfgang Scholz, Thomas Claus und Stefan Schilling. Tilo Schiemenz wird auch persönlich anwesend sein und sich von Nils Werner und dem Publikum ausfragen lassen.
Zum Einschwingen in den Abend: ein Tondokument von 1991 (mp3) über die Anfangstage der Bunten Republik Neustadt, aber auch die mit dem damals beginnenden Gentrifizierungsprozess in der Neustadt verbundenen Ängste der Bewohner.
Die Filme im Detail:
Kinder der Neustadt
1988, Super8-Mehrfachprojektion, 4min
Regie: Stefan Schilling, Johann Anderson
Inmitten von Brachen, Abrisshäusern und Ruinen tobt das Leben. Die Kinder der Neustadt – anno 1988, eine Spezies für sich.
David
1988, 16mm, 5min
Regie, Kamera, Ton, Schnitt: Wolfgang Scholz
Kurzfilm über einen 7-jährigen Jungen, drei Tage vor der Ausreise mit seinen Eltern aus der DDR in den „Westen“.
“Als ich von der Ausreisegenehmigung erfuhr, blieb mir nur wenig Zeit, um mich für diese Beobachtung mit einer 16mm Kamera zu entscheiden. Wichtig waren für mich Fragen und Beobachtungen zu seinen „Besonderheiten“, was ihn speziell macht: die langen blonden Haare, wo andere ihn damit ärgern, dass sie behaupten, er sei kein Junge, seine Lust Klavier zu spielen und seine Vorstellung vom „Westen“, in den er reist, ohne zu wissen, ob er je zurückkehren darf.” (Wolfgang Scholz)
Kohlenlothar
1989/90, 16mm, 13min
Regie, Schnitt: Wolfgang Scholz
Kamera: Jürgen Rehberg
Dokumentarfilm über den letzten Kohlenfahrer Dresdens, der die Braunkohlenbricketts noch mit dem Handwagen ausfährt. Bonjour Tristesse – oder der sozialistische Gang der Dinge im ältesten Stadtteil Dresdens.
Auf der Suche nach der verlorenen Stadt
1990, 35mm, 30min
Regie: Thomas Claus
Kamera: Christoph Stolle
Schnitt: Heidrun Sünderhauf
Dresden-Neustadt, Sommer 1990 – in der Rothenburger Straße parken ein Wartburg und ein Trabant. Die Häuser sind baufällig, die Bewohner skeptisch und die Geschäfte leer: es herrscht „Nachwendezeit“. Ein halbes Jahr ist seit dem Fall der Mauer vergangen, die ersten freien Wahlen liegen erst ein Vierteljahr zurück. Eine Gruppe junger Filmemacher des DEFA-Studios für Trickfilme begeben sich auf Spurensuche und begleiten Bewohner, Wirte und Künstler zwischen Währungsunion und Wiedervereinigung. Nicht umsonst wurde die 1. Bunte Republik Neustadt in dem Dresdner Stadtteil ausgerufen, der damals als Synonym für die Hoffnungen der „neuen“ Zeit galt. Hoffnungen, die sich schon damals als illusorisch herausstellen sollten.
Pilgrim (1.Szene)
1992, 16mm, ca. 10min
Regie: Tilo Schiemenz
Eine Filmgroteske über die alte Dresdner Neustadt – eine nach 1989 stehengebliebene, liegengelassene Stadt. Szene zum Thema “es mag sein, dass alles fällt.” Der Fall ist einen Spaß wert!
Tigerlilli
1993, 16mm, 33min
Regie: Tilo Schiemenz
Kamera: Jürgen Rehberg
Frau Westhof war eine anstrengende Person, mit der Originalität einer Hexe. Aber wer weiß von ihrer Elfenzeit? Was weiß man überhaupt von einem Menschen wie ihr? Ein Mensch, der bald vergessen sein wird, da er es im Leben zu nichts gebracht hat. Eines läßt sich immerhin mit Sicherheit sagen: Frau Westhof hat ihre Eigenheiten behauptet. Der Film ist gemacht aus einem Unbehagen gegenüber jenem deutschen Konformismus, der Zwischentöne nicht zuläßt, der die Frage auf das “entweder oder” reduziert.
Daphnis und Chloe an der Elbe (1.Szene)
1998, 16mm, 5min
Regie: Tilo Schiemenz
Der Ring der Kräne der Sanierer schließt sich immer enger um die Neustadt. Wer dort nicht mehr leben will oder kann, flieht auf die Elbwiesen.
(Texte: Nils Werner)
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